„Wir ziehen nach Straßburg.“ Mein Opa hörte diese Worte 1941 von seinem Vater. Nachdem die Deutschen das Elsass besetzt hatten, wurde sein Vater, von Beruf Polizeibeamter, mit der ganzen Familie von Lahr nach Straßburg versetzt.

Sie spielten zusammen Fußball und gingen manchmal sogar ins Kino. Doch 1944 änderte sich alles. Mein Opa ging mit seiner Mutter und Schwester zurück nach Deutschland, da die Alliierten erfolgreich begannen, das Elsass zurückzuerobern. Sie flüchteten ins grenznahe Memprechtshofen, der Geburtsort seiner Mutter. Dort machte sich mein Opa große Sorgen um seinen Vater und Bruder. Sie mussten beruflich in Straßburg bleiben.
Mein Urgroßvater freute sich am Morgen des 23. Novembers noch, als er im Hausflur auf seinen elsässischen Vermieter traf. Er mochte ihn, „obwohl er Franzose war“. Jetzt sah dieser meinen Urgroßvater allerdings erschrocken an. Er fragte, ob er nicht abhauen wollte.
„Warum?“ Wie die Meisten hatte mein Urgroßvater noch nichts von den französischen Panzern mitbekommen, die gerade Straßburg erreichten und bis nach Kehl vordringen wollten. Sein Vermieter hatte es gerade erst gehört. „Sie müssen über den Rhein fliehen, sonst nehmen sie Sie fest. Die Deutschen sprengen alle Brücken um 12 Uhr, also beeilen Sie sich!“ Mein Urgroßvater geriet in Panik. Es war schon bald Mittag und sein Sohn war bei der Arbeit.
Ab jetzt zählte jede Sekunde. Er schnappte sich sein Fahrrad und nahm aus der Wohnung hektisch eine einzige Sache mit: eine dunkle Wanduhr. Dann holte er seinen Sohn ab und die beiden traten fest in die Pedale. Auf ihren alten Fahrrädern, die Wanduhr auf dem Rücken meines Urgroßvaters, schafften sie es gerade noch rechtzeitig über die Rheinbrücke.
Mein Opa ist dem Vermieter dankbar, dass er, obwohl sie eigentlich Feinde waren, seine Familie gewarnt und somit gerettet hatte.
Die dunkle Wanduhr hängt mittlerweile im Wohnzimmer meiner Großeltern. Sie funktioniert noch heute.