Wie mir mein Erasmus-Aufenthalt (zu) tiefe Einblicke in die französische Streikkultur und sogar einen Vorgeschmack auf die anstehende Pandemiezeit bot…

Kurz vor Advent entdecke ich im Aufzug meines Wohnheims einen mysteriösen Sticker der Nouveau Parti anticapitaliste: „Tou.te.s ensemble – grève générale“. Dass ein Generalstreik der Gewerkschaften bevorstehe und auch der ÖPNV und die Universitäten betroffen sein würden, ist schnell in aller Munde. Noch reagiere ich gelassen auf diese Nachrichten – ein paar Tage frei zu haben, hat doch noch niemandem geschadet.
Als jedoch einige Dozenten vorschlagen, die Prüfungen vor Weihnachten durch Online-Abgaben oder Klausuren via Skype zu ersetzen, dämmert mir so langsam, dass ich meine restliche Erasmus-Zeit womöglich außerhalb der Uni verbringen werde.
Eine Woche später versinkt die Stadt im Chaos. Der ÖPNV ist zu nichts mehr zu gebrauchen, außer, man hat Lust auf Gruppenkuscheln mit Fremden und möchte irgendwann mitten im Nirgendwo ausgesetzt werden. Autofahrer haben nicht viel mehr Glück: Am sechsten Tag des Streiks zählt man unglaubliche 631 km Stau im Umkreis Île-de-France. Nach etwa zehn Tagen packen drei meiner Freundinnen ihre Koffer und brechen in ihre Heimatländer auf, um wieder in den Genuss sozialer Kontakte zu kommen. Bezüglich meiner Heimfahrt, die ich bereits Wochen zuvor für den Tag vor Heiligabend gebucht hatte, habe ich große Bedenken.
So breche ich am Morgen des 23.12. mit zwei großen Koffern auf zum Bus Nummer 21, der laut der RATP-App regulär fahren soll. Pustekuchen. Ich rufe mir ein Uber. Dieses taucht nach einer qualvoll langen Wartezeit auf und ich schaffe es tatsächlich noch eine halbe Stunde vor Abfahrt zur Gare de l’Est – wo ich schließlich feststellen darf, dass mein TGV ausfällt. Ausgerechnet ein ICE ist es, der mich zurück nach Stuttgart bringt. Auf die Deutsche Bahn ist eben Verlass.
Sarah Catherine Petersen